Peter Lerf und Martin Sabel betreiben gemeinsam das Label Gigaphon, bei dem unter anderem die Hörspielserien Dragonbound und Fraktal erscheinen.
Das Interview mit Peter Lerf wurde im Juni 2015 per Mail geführt, das Gespräch mit Martin Sabel fand am Rande der Hörspielmesse HÖRMICH am 30. Mai 2015 in Hannover statt.
1. Hallo Peter. Woher kommt deine Faszination für das Medium Hörspiel?
Eigentlich wäre das perfekte Medium für mich „Film“, weil es noch die visuelle Ebene beinhaltet, mit der man eine Geschichte sehr gut erzählen kann. Da ein Filmprojekt aber nicht finanzierbar und ein logistischer Alptraum ist, habe ich das Hörspiel als perfekte Alternativerzählform entdeckt. Ich kann alle Sprecher zeitlich unabhängig voneinander aufnehmen und die meisten Arbeitsschritte alleine bewerkstelligen. Ich bin ein Spätberufener, war kein Kassettenkind. Als der Martin Sabel mit der Idee kam, Hörspiele zu machen, musste ich mich erst mal reinhören.
2. Wie ist die Idee zu „Dragonbound“ entstanden?
Nach unserem Erstlingswerk „Der Unendliche“, einem Mystery-Hörspiel, wollten wir uns auf keinen Fall wiederholen. Fantasy hat mich schon immer interessiert, daher entschied ich mich für eine Geschichte innerhalb dieses Genres. Allerdings fand ich es zu langweilig, die üblichen Klischees aufzuwärmen und erdachte mir eine Protagonistin, die aus unserer Zeit stammt und in einer phantastischen Mittelalterwelt strandet. Aus dieser Kollision zweier gegensätzlicher Denk- und Handlungsweisen ergaben sich die meisten Ideen zu Dragonbound wie von selbst. Es machte beim Entwickeln der Story auch mehr Spaß, die typischen Fantasy-Elemente nicht in einem todernsten Ton unterzubringen, sondern immer mit einem leichten Augenzwinkern. Wenn Lea bestimmte Begebenheiten aus ihrer „Modernen“ Sicht kommentiert, ergibt sich ein gewisser Sarkasmus fast von selbst.
Die Grundstimmung von Dragonbound entstand übrigens beim Hören eines Within Tempation Songs, als ich plötzlich das Bild eines Wikingerschiffs in einem stürmischen Ozean vor dem geistigen Auge hatte. Ich glaub, der Song handelt von ganz was anderem, aber das war eben meine Assoziation des Sounds. Als ich mich dann im Schreibprozess befand, überschlugen sich die Ideen und die Geschichte nahm alle möglichen neuen Wendungen. Das Ausgangsbild hat es immerhin ins Hörspiel geschafft; beim allerersten Drachenangriff auf hoher See.
3. Und wie die Idee zu „Fraktal“?
Das war Men in Black I, der mich dazu inspiriert hat. Im Film ist von einem Juwel die Rede, in dessen Inneren sich ein komplettes Universum befindet. Die Bewohner dieses Universums haben keine Ahnung, dass jenseits ihrer bewussten Grenzen noch viel mehr existiert. Dieser Gedanke hat mich sehr fasziniert, also begann ich, ihn weiterzuspinnen und stellte schließlich die Behauptung auf, dass theoretisch in jedem Sandkorn eine winzig kleine Welt verborgen sein könnte. Wir würden es nur nie erfahren, weil diese Welt in einer anderen Ebene stattfindet, die wir mit unseren Sinnen und unserer Technik nicht wahrnehmen können. Es sei denn, jemand entwickelt die Möglichkeit, in diese Ebene vorzudringen…Die Grundidee zu Fraktal war geboren.
4. Wie findest du deine Sprecher? Worauf kommt es dir bei der Auswahl der Sprecher besonders an?
Für die Besetzung der ersten Dragonbound-Staffel habe ich gern Sprecher gebucht, die mir zuvor in irgendwelchen synchronisierten TV-Serien oder Hollywoodfilmen aufgefallen sind. Da hab ich mir oft gedacht „genau so soll die ein oder andere Rolle gespielt werden“. Claudia Urbschat als Angelina-Jolie-ähnliche Auftragsmörderin war zum Beispiel so eine Wunschkandidatin. Ich war sehr glücklich, dass sie bei diesem Projekt mitgemacht hat. Als ich Jürgen Kluckert in den Gabriel Burns-Hörspielen zum ersten Mal gehört hab, war mir auch klar, dass den Erzählerpart bei Dragonbound kein anderer als er übernehmen konnte. Beim Schreiben der Texte stellte ich mir dann auch immer vor, wie sie wohl klingen würden, wenn Herr Kluckert sie mit seiner phantastischen Stimme interpretiert.
Viele der Nebenrollen wurden aber auch über die umfangreichen Kontakte zu Martins Sprecherkollegen besetzt. Dabei war es zweitrangig, ob eine Stimme prominent oder bekannt war – sie musste authentisch sein und perfekt zur Rolle passen. Die Sprecher haben einen tollen Job gemacht.
Bei der zweiten Dragonbound-Staffel haben sich dann auch viele Leute direkt bei mir gemeldet und ich musste nur noch auswählen, wer am besten auf welche freie Rolle passt. Dabei bin ich auf Talente gestoßen, die ich zuvor gar nicht auf dem Schirm hatte. Dirk Hardegen, Marc Schülert, Dagmar Bittner, um nur ein paar zu nennen. Es müssen also nicht immer dir großen Namen sein, um einem Hörspiel professionellen Glanz zu verleihen. Aber natürlich gibt es auch in Staffel 2 Rollen, die ich schon im Vorfeld ganz bestimmten Leuten auf den Leib geschrieben habe. Jan Odle ist so einer, dessen Performance in Game of Thrones mich sehr begeistert hat.
5. Könnt ihr im Ensemble aufnehmen oder nehmt ihr die Sprecher einzeln auf?
Wir nehmen die Sprecher grundsätzlich einzeln auf. Das hat logistische und auch finanzielle Gründe. Da bei den Aufnahmen intensiv Regie geführt wird, wäre eine Ensembleaufnahme auch ziemlich anstrengend. Bei Ensembleaufnahmen hat man immer viel Schmutz auf den einzelnen Mikrofonsignalen, die lassen sich dann nicht so detailliert Nachbearbeiten, wie wir es in der Regel tun.
6. Wie würdest du deine Zusammenarbeit mit Martin Sabel beschreiben? Wer ist für was verantwortlich?
Martin Sabel ist das „Gesicht“ von Gigaphon, ich bin eher der kreative Kopf im Hintergrund. Wenn es um öffentlich Präsenz geht, schicke ich lieber ihn vor Als Sprecher ist Martin natürlich prädestiniert, die Sprachaufnahmen durchzuführen. Meine Aufgabe ist es dann, daraus akustische Geschichten zu zaubern, indem ich die Dialoge zurechtschneide, Musik komponiere und Geräusche anlege. Seit Gigaphon auch als Label für Eigenproduktionen fungiert, ist noch der ganze Businesskram dazugekommen, der mir sehr viel kreative Zeit raubt. Aber auch das muss leider gemacht werden.
7. Obwohl eine Serie wie FRAKTAL ja Science Fiction ist, kommen doch immer wieder wissenschaftliche Themen vor, etwa die Themen „Konvergente Evolution“ oder „Fraktaluniversen“. Inwieweit muss man bei der Vorbereitung und beim Schreiben von Geschichten auch (wissenschaftlich) recherchieren?
Müssen tut man nicht. Man kann sich auch ein komplett frei erfundenes Universum schaffen, das beliebigen Naturgesetzen gehorcht. Aber gerade in der Science-Fiction Szene gibt es genügend Hobbyphysiker, die zumindest ansatzweise nach Erklärungen verlangen, warum etwas so ist, wie es in der Geschichte erzählt wird. Bei Star Trek beispielsweise werden gelegentlich hanebüchene Behauptungen in den Raum gestellt, diese aber dann konsequent weitergedacht. Und wenn ein Transwarpkanal kollabiert und die Crew anschließend den Grund dafür erläutert, hat man immer das Gefühl, das Ganze irgendwie verstanden zu haben.
Fraktal ist schon ziemlich durchdacht und in sich logisch, auch wenn es für manche Kritiker nicht immer den Anschein hat. Man muss dazu natürlich die unterstellten Grundideen hinnehmen und den Hörspielen aufmerksam lauschen. Dann ist das schon alles stimmig. Ein Freund von mir ist Physiker und ich habe mich im Vorfeld intensiv mit ihm ausgetauscht. Zwar hielt er manche der aufgestellten Hypothesen für sehr gewagt, aber die plausiblere Alternative wäre nur halb so unterhaltsam gewesen. Und der Unterhaltungswert steht ganz klar im Vordergrund. Das schöne an der Science Fiction ist ja, dass ich meine Behauptungen nicht beweisen muß. Es genügt schon, wenn keiner sie widerlegen kann.
Die Kernaussage von Fraktal ist, dass nichts endlich ist und Strukturen sich in jeder Dimension wiederholen. Daher findet die Crew der Skyclad im Mikrokosmos auch ein Gefüge vor, welches dem Universum ähnelt, das wir als das unsere wahrnehmen. Es gibt dort Planeten und auch viele Formen von Leben. Man kann diesen Gedanken sogar in die andere Richtung weiterspinnen: Was, wenn auch unser Kosmos nur der winzige Teil einer viel größeren Welt wäre? Eingeschlossen in einem Sandkorn, umgeben von unzähligen anderen Sandkörnern, die zusammen einen Strand bilden; auf einem Planeten, der selbst nur unscheinbarer Teil eines gigantischen Sternensystems ist…Fraktal ist also ein Spiel mit Relationen.
8. Beobachtest du den deutschen Hörspielmarkt allgemein? Gibt es Kontakte und Kooperationen auch mit anderen Hörspielmachern, oder kocht jeder eher sein eigenes Süppchen?
Der Hörspielmarkt ist sehr schwierig, weil er so winzig ist, und eigentlich müssten die kleinen Labels viel enger kooperieren. Tun sie aber oftmals nicht, weil sie sich als Konkurrenten sehen. Es gibt aber auch die andere Seite, wo eine Zusammenarbeit zwischen Hörspielmachern durchaus fruchtbar sein kann.
Ich persönlich bin für Kooperationen immer offen und habe keine Berührungsängste. Derzeit finden zum Beispiel Überlegungen mit den befreundeten Kollegen von Lindenblatt Records und Ohrenkneifer statt, etwas enger zusammenzuarbeiten. Mal schauen, welche Ideen wir umsetzen können.
9. In Zeiten von zunehmender Digitalisierung, Download- und Streamingangeboten: Wird es deiner Meinung nach möglich sein, auch in Zukunft noch mit Hörspielen gutes Geld zu verdienen?
Zuerst mal muß ich sagen, dass sich mit Hörspielen kein gutes Geld verdienen lässt. Das Gagenniveau vieler Sprecher ist im Verhältnis zu den Erlösen eines Hörspiels viel zu hoch, vom Zeit- und Ressourcenaufwand für die Bearbeitung will ich gar nicht sprechen. Auch der Endverkaufspreis ist eigentlich gemessen an den Kosten und der Arbeitsleistung zu niedrig. Aber ein Preis von 7 bis 9 Euro pro CD hat sich nun mal etabliert, da muss man sich anpassen, sonst kauft es keiner mehr. Hörspielmachen ist für mich daher eher eine Liebhaberei und ich bin schon froh, nicht davon leben zu müssen, da ich mein Geld mit anderen Sachen verdiene.
Von Streaming halte ich gar nichts, weil es für den kleinen Produzenten ein sehr unfaires Geschäftsmodell ist, bei dem hauptsächlich der Anbieter etwas verdient. Downloads haben z.B. den Musikmarkt komplett umgekrempelt, im Hörspielbereich ist das meiner Meinung nach nicht ganz so drastisch, da dort die Sammler noch stark vertreten sind. Und die wollen etwas haptisches, was sie nach dem Hören ins Regal stellen können. Ein weiterer Punkt ist die Tatsache, dass viele Hörspielhörer einer Generation angehören, die das eben auf CD erwerben (nachdem es keine Kassetten mehr gibt). Das ist zumindest meine Erfahrung, unsere Hörspiele werden überwiegend auf CD gekauft. Die Downloads sind dann ein Zusatzgeschäft, mit dem man noch weitere Käuferschichten erreicht.
Allerdings muss ich gestehen, dass ich nicht alle digitalen Vermarktungsmöglichkeiten beherrsche. Man kann sogar mit Platformen wie Youtube Geld verdienen, leider erfordert das etwas Know How, das mir im Moment noch fehlt. Grundsätzlich bietet die zunehmende Digitalisierung viele Chancen und neue Geschäftsmodelle, aber um sie nutzen zu können, muss man sie zuerst erlernen.
10. Du bist auch für die Musik bei den Hörspielen verantwortlich. Wie aufwändig ist die Musikproduktion? Komponierst du im Vorfeld oder auf bestimmte Szenen hin?
Die Musikproduktion ist eigentlich der aufwendigste Schritt in der Bearbeitungskette. Ich komponiere meistens wie bei einem Filmsoundtrack, also punktgenau auf jede Szene. Das bedeutet zwar viel Arbeit, aber so kann ich eine deutlich größere emotionale Dichte erreichen, als das mit vorgefertigten Fragmenten oder gar Konservenmusik möglich wäre. Die Musik ist dann nicht nur zur Schaffung einer Grundatmosphäre gut, sondern unterstützt auch dynamisch den Handlungsverlauf. Manche menschlichen Gefühle können mit Worten kaum dargestellt werden, mit Musik geht das erstaunlich gut. Bei den meisten anderen Hörspielen, die ich kenne, wird vielfach darauf verzichtet, den Figuren tiefere Emotionen zu verleihen, was sie blass und belanglos erscheinen lässt, ohne Charakter. Ich begleite als Hörer etliche Folgen lang einen Hauptakteur und glaube, ihn doch nicht richtig zu kennen. Im schlimmsten Fall will ich ihn gar nicht genauer Kennenlernen, weil er langweilig ist.
Bei Dragonbound und Fraktal dagegen lege ich großen Wert auf die Persönlichkeitsentwicklung der Protagonisten, das ist vielleicht das Besondere an Gigaphon Hörspielen. Viele Leute haben mir zu Dragonbound geschrieben, keine andere Serie hätte sie so stark in der Seele berührt oder gar zum Weinen gebracht. Das ist zum größten Teil der Musik geschuldet, auch wenn den meisten das gar nicht bewusst ist. Für mich als Komponist ist solch ein Feedback das größte Lob, das man aussprechen kann. Dann weiß ich,dass die Musik funktioniert hat.
11. Gibt es neben „Dragonbound“ und „Fraktal“ ein Traumprojekt, das du gern mal als Hörspiel in Angriff nehmen würdest?
Derzeit hab ich genügend mit der laufenden Dragonbound-Staffel zu tun, dass keine Zeit bleibt, sich über zukünftige Projekte Gedanken zu machen.
Interview mit Martin Sabel
Vielen Dank an Peter und Martin!
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