Die Narbe ist eine Kurzgeschichtensammlung des Musikers und Schauspielers Patrick Roche, die in 12 (inszenierten) Lesungen bzw. Kurzhörspielen Einblicke ins Innere „seltsamer“ Persönlichkeiten bietet.
Der erste Beitrag Leben vor dem Tod ist ein kafkaeskes Gedicht, gelesen vom Autor persönlich. Die Geschichte Licht und Glück zieht sich in vier Teilen durch das Hörbuch und handelt von einem Mann,der ein Buch schreiben will. Warum und weshalb, das erfährt der Hörer erst am Ende, und dank des gekonnten Vortrags von Kai Taschner verfehlt die Geschichte ihre verstörende Wirkung nicht.
Gleiches gilt für Die Narbe, eindrucksvoll gelesen von Hans-Georg Panczak, in der ein Mann seinen langsamen Weg in den Wahnsinn beschreibt, der ihn schließlich dazu bringt, sich im wahrsten Sinn des Wortes selbst zu zerfleischen.
Der 10-Minüter Der Geist ist dagegen ein kleiner Dämpfer. Der nüchterne Vortrag des Vorlesers Manuel Straube und die ebenso nüchterne Essenz: „Ich bringe Leute um, weil es mir Spaß macht.“ lassen den Hörer – in diesem Fall mich – am Ende ziemlich kalt.
Der Komiker, gelesen von Tim Schwarzmaier, konnte mich, der in seiner Jugend jede Menge King– und Barker-Zeugs und diverse Horror-Anthologien verschlungen hat, ebenfalls nicht sonderlich fesseln. Zu vorhersehbar ist die Geschichte vom eifersüchtigen Muttersöhnchen, und auch die Schlusspointe funktioniert allenfalls bei Horrorneulingen.
Die Operation, für mich der Höhepunkt der Sammlung und gelesen von Christian Weygand, ist dann aber mal eine wirklich irre kleine Mad-Scientist-Geschichte, für die wohl bizarre Genrefilme wie The Human Centipede Pate standen. Und noch dazu kommt (endlich) auch einmal eine ordentliche Dosis kranker Humor mit ins Spiel.
In Rendezvous, dem ersten „echten“ Kurzhörspiel der Sammlung, trifft sich ein Pärchen zum ersten Date, und unbemerkt vom jeweils anderen hadert jeder der beiden mit seinen inneren Dämonen, sodass bald nicht mehr klar ist, wer denn nun den Größeren an der Klatsche hat. Es spielen unter anderem Annina Braunmiller, Patrick Roche und Gabrielle Pietermann.
Bewerbungsgespräch ist das zweite Hörspiel, mehr Science Fiction als Horror, gut gespielt von Alexander Turrek und Patrick Roche, aber in seiner aufdringlichen Kafka-Attitüde eher nervig als spannend oder gar originell.
Pilgerfahrt schließlich, ist der akustische Abschiedsbrief einer jungen Frau und gerade durch seine Rätselhaftigkeit und Unaufgeregtheit um so beunruhigender und verstörender. Eine besondere Freude an dieser Geschichte war für mich das Wiederhören mit der tollen Sprecherin Madeleine Stolze, die man unter anderem als deutsche Synchhronstimme von Courteney Cox oder Catherine Zeta-Jones kennt.
Insgesamt ist Die Narbe also eine zwiespältige Angelegenheit. Einerseits bietet die Sammlung ein paar gelungene Beiträge, andererseits sind manche Geschichten aber zu vorhersehbar oder wirken zu kalkuliert auf Schock und Tabubruch gebürstet. Genrefans und -neulinge sollten aber mal reinhören und sich selbst ein Urteil bilden.
Das Hörbuch ist ausschließlich als Download erhältlich.
Weitere Infos gibt es hier.
Lustig, dass „Bewerbungsgespräch“ als Sience-Fiction bezeichnet wird, obwohl es in der Geschichte Katholische Kirche geht ^^
Entweder den Sinn nicht verstanden, oder das Stück hat genau seinen Zweck erfüllt :)
:-)