Der Priester Christopher Fairfax begibt sich in ein verschlafenes Dorf in der englischen Provinz Wessex, um die Beerdigung des plötzlich verstorbenen Dorfpfarrers zu organisieren.
Zu Beginn wähnt man sich als Hörer im Mittelalter, doch ziemlich bald wird der geniale Kniff von Autor Robert Harris entlarvt.
Wir befinden uns lediglich im 15. Jahrhundert einer neuen Zeitrechnung, die eingeleitet wurde, nachdem eine nicht näher definierte Katastrophe einen Großteil der Menschheit ausgelöscht hat.
Im England von Christopher Fairfax regiert der Klerus mit eiserner Hand, jegliche Beschäftigung mit der Vergangenheit ist strengstens untersagt.
Fairfax stößt im Nachlass des verstorbenen Geistlichen aber auf verbotene Schriften, die ihm und uns nach und nach die finsteren Rätsel der Vergangenheit offenbaren.
Alternative Geschichtsschreibung ist eine Vorliebe des Bestsellerautors Harris, der unter anderem in seinem Roman „Vaterland“ die Nazis zu den Gewinnern des Zweiten Weltkriegs gemacht hat.
Regisseur Leonhard Koppelmann und Bearbeiter Heinz Sommer haben aus dem vorliegenden Stoff ein aufwändiges Hörspiel gezaubert.
Die zukünftige Welt ist düster, verregnet und trostlos. Untermalt von einem feinen, meist mittelalterlichen Soundtrack dürfen wir den von Max Mauff gespielten Fairfax bei seinen Ermittlungen begleiten, was mich oft an Otto Dübens geniale Hörspieladaption von Umberto Ecos „Der Name der Rose“ denken ließ.
Unterstützung bekommt er von der jungen Witwe Sarah und dem Tuchfabrikanten John Hancock, fabelhaft besetzt mit Anna Thalbach und Martin Brambach.
Und so entspinnt sich ein über weite Strecken sehr spannender „Historienkrimi“, der immer wieder mit Szenen aus der prä-apokalyptischen Vergangenheit angereichert wird, wo die Welt, ähnlich wie in unserer tatsächlichen Gegenwart, kurz vor dem Kollaps steht.
Um den ohnehin stark coronagebeutelten Hörer noch vollends zu verunsichern, bauen die Macher auch Statements tatsächlicher Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ein, in welchen diese ihre ganz persönlichen Gefahren für das Fortbestehen der Menschheit darlegen.
Das muss man erst mal verdauen, während man etwa auf seine Covid-Impfung warten oder den Polkappen beim Schmelzen zusehen muss.
Glücklicherweise spart Autor Harris nicht an humorigen Seitenhieben, etwa als Fairfax in den Hinterlassenschaften des alten Pfarrers ein kaputtes IPhone entdeckt, oder wenn der junge Christopher an einer Stelle in bester Monty-Python-Manier aus dem Matthäusevangelium zitiert.
Lediglich am Ende geht für mein Empfinden alles ein wenig zu schnell. Zudem bleiben viele Fragen ungeklärt, etwa welche Katastrophe nun genau passiert ist, oder warum gerade die Kirche und die Oligarchen alle Macht an sich reißen konnten.
Insgesamt ist „Der zweite Schlaf“ aber ein wirklich erstklassig besetztes und erzähltes Historienhörspiel der etwas anderen Art und liegt bei Leonhard Koppelmann in den besten Händen. Der hat in der Vergangenheit ja schon wiederholt bewiesen, dass er ein Fachmann für die Adaption historischer Stoffe ist, etwa mit Ken Follets „Die Säulen der Erde“ und Umberto Ecos „Baudolino“.
Auf einer Bonus-CD erwartet den interessierten Hörer zudem ein informativer Werkstattbericht, bei dem Macher, Schauspieler und Wissenschaftler zu Wort kommen.
Eine Hörprobe gibt es hier!
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